Die Bedeutung einer Psychotherapie für den Ausgang eines Strafverfahrens
- info593990
- 13. Jan.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. März
Das Gericht muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob eine Aussage im eigenen Erleben verankert oder nicht Erlebnis-fundiert ist. Dabei muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine Psychotherapie Einfluss auf den Inhalt einer Aussage und somit auf deren Glaubhaftigkeit hat. Als glaubhaft gilt eine schlüssige und nachvollziehbare Aussage.
Rechtslage: Es ist nicht gesetzlich geregelt, wie im Strafverfahren mit den möglichen Auswirkungen einer Psychotherapie auf den Beweiswert einer Aussage umzugehen ist. Es gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) und der Amtsermittlungsgrundsatz (§§ 155 Abs. 2, 160 Abs. 2, 244 Abs. 2 StPO). Das heißt die Staatsanwaltschaft und Gerichte müssen Umstände gegeneinander abwägen, die für und gegen die Glaubhaftigkeit einer Aussage sprechen. Ebenso sind sie verpflichtet, die näheren Umstände einer Psychotherapie zu klären, wenn sie eine Rolle bei der Beurteilung der Aussage spielen. Therapeutische Maßnahmen sind darauf zu untersuchen, ob sie einen relevanten Einfluss auf die Aussage hatten. Das Gleiche gilt beispielsweise für Gespräche mit Familienangehörigen, Freunden und Bekannten oder für Vernehmungen.
Der Einfluss einer Psychotherapie auf das Strafverfahren hängt vom Zeitpunkt der therapeutischen Maßnahmen und dem konkreten Vorgehen der Therapeut:innen ab. Der Leitfaden des Bundesministeriums der Justiz zu der Thematik unterscheidet daher zwei mögliche problematische Konstellationen für das Strafverfahren:
Zum einen eine Anzeigeerstattung und umfassende Aussage durch die Betroffenen, bevor erstmals eine Psychotherapie begonnen wurde. Hier ist eine Veränderung der ursprünglichen Aussage durch therapeutische Intervention denkbar. Hilfreich ist in diesem Fall, wenn die getätigte Erstaussage bei der Polizei aufgezeichnet wurde. So kann überprüft werden, ob eine spätere Aussage von der ursprünglichen stark abweicht.
Zum anderen eine Anzeigeerstattung erst nach oder während einer laufenden Therapie: Besonders kritisch sind hier Fälle zu bewerten, in denen Patient:innen ohne explizite Erinnerungen an traumatische Erfahrungen eine Psychotherapie aufnehmen und in der Therapie Interventionen durchgeführt werden, die auf das Aufdecken von bis dahin nicht zugänglichen Erinnerungen abzielen. Hierdurch besteht immer die Gefahr, dass Scheinerinnerungen entstehen. Eine ausführliche Dokumentation der Therapie ist daher unentbehrlich.
Für die Glaubhaftigkeit einer Aussage sind insbesondere folgende Aspekte relevant:
Aussagepsychologisches Sachverständigengutachten: Diese werden vom Gericht immer dann angefordert, wenn Zweifel bestehen, dass die Sachkunde des Gerichts zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht. Sie wollen die Frage beantworten, ob eine Aussage durch einen tatsächlichen Erlebnishintergrund zustande gekommen sein kann, also mit hoher Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Ereignissen entspricht.
Aufzeichnung der bei den Ermittlungsbehörden (insbesondere der Polizei) getätigten Erstaussage
Dokumentation des Psychotherapieverlaufs durch die behandelnden Therapeut:innen
Aussagevergleiche: bspw. von der ursprünglichen Aussage bei der Polizei und einer späteren Aussage im Strafprozess
Fazit: Das Rechtliche ist nicht alles! Bei traumatischen Erlebnissen kann es hilfreich sein, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen und Beratungsstellen, Traumaambulanzen, Psychotherapeut:innen oder ähnliche Stellen aufzusuchen. Bei Psychotherapieansätzen, die auf die Stabilisierung und die Bewältigung ausgerichtet sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie keinen Einfluss auf die Erinnerung der Patient:innen haben. Bei Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) dagegen wird traumakonfrontativ gearbeitet. Dabei besteht ein größeres Risiko, dass Erinnerungen verändert werden. Dies hängt jedoch sehr von der individuellen Situation ab und von den neuen Informationen, die die Person erfährt. Einige Studien zeigen, dass vorschriftsmäßig durchgeführte traumakonfrontative Therapien keine verzerrenden Einflüsse auf die Erinnerung an belastende Ereignisse haben.
Das Thema ist Teil einer sehr kontroversen Debatte. Jede*r muss selber für sich entscheiden, ob, wann und wie eine Therapie in Anspruch genommen wird.
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Quellen für diesen Beitrag
https://www.heidelberg-strafrecht.de/aussage-gegen-aussage.html#:~:text=Glaubhaftigkeit%20bezieht%20sich%20dabei%20auf,die%20Wahrheit%20sagt%2C%20ist%20glaubw%C3%BCrdig.
Greuel, Glaubhaftigkeitsbegutachtung im Kontext des Opferentschädigungsgesetzes (OEG). Praxis der Rechtspsychologie, 32. Jahrgang, 2/2022, 65-91.
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